2.11.06

Uma noite na favela

... diese e-mail habe ich von Michael bekommen. Er hat ueber seine Erfahrungen in einer Favela in Rio geschrieben. Ich habe euch von Michael erzaehlt. Er hat waehrend seines Aufenthaltes mehrere Naechte in der favela verbracht. Alles was er schreibt entspricht der Wahrheit und er hat mir erlaubt es zu veroeffentlichen. Zu meinem Aufenthalt in dem Kinderheim passt es ebenfalls, denn viele der kinder kommen aus Favelas.... Danke fuer diesen beitrag Michael!

Eine Nacht in der Favela

Der VW-Bus lässt mich an einem Zaun, der nur noch aus einigen horizontalen Drähten besteht, raus. Ich bücke mich und gehe über ein kleines Müllfeld aus Bauabfällen und sonstigem Müll auf einen steilen, nach oben führenden Pfad zu. In Serpentinen folge ich dem Pfad nach oben. Ich muss den Weg „hintenherum“ nehmen, da ich als Gringo auf dem normalen Weg durch die Gänge der Favela auffallen würde und Objekt so mancher Begehrlichkeit werden könnte. Über mir führt eine starke Hochspannungsleitung von einem Hügel zum anderen. Nach ca. 50m bin ich erst einmal aus der Puste und mache eine Pause. Weiter geht es immer steil aufwärts weitere 50m, bis ich wieder eine Pause machen muss. Inzwischen bin ich ca. 60m hoch gestiegen. Weitere 50m bringen mich auf die höchste Stelle des Hügels. Sie liegt etwa 80m über der Strasse, wo ich die Autos doch recht klein wahrnehme. Auf ebener Strecke geht es weitere 50m durch Abfälle, vornehmlich aus Papier und Pferdekot. Ich komme an einen Zaun, der eine Öffnung in Form einer Tür von ca. 1,80m zum Durchgang freilässt. Die Tür ist aus Holzbrettern notdürftig zusammengenagelt und durch Drähte gebunden. Nun geht es einige Stufen abwärts über unbefestigte Lehmstufen, die lediglich in den Boden geschlagen sind. Bei Regen ist es hier höllisch glatt. Es geht an zwei unverputzten, schlecht gemauerten Hauswänden vorbei wieder abwärts, bis eine 2.Tür, ähnlich der ersten, weitere Stufen frei gibt. Nach etwa 20m biege ich rechts ab und steige wieder einige Lehmstufen hinauf und gelange an das Haus, indem ich übernachten werde. Bis hierhin haben mich diverse Straßenköter wütend bellend begleitet. Dieses Haus ist ca. 1,50 von einem anderen unverputzten, schief gemauerten Haus entfernt.
Ein paar Stufen hinauf und ich nehme die Eisentür, die nur lose in die Türöffnung gestellt ist, heraus und betrete die kleine Küche von etwa 3m mal 2,50m. Geradeaus ist die Toilette mit einer Toilette ohne Spülung. Links davon ein kleines Waschbecken. Der Boden der Küche besteht aus glatt gezogenem, grauem Zement. Der Toilettenboden ist mit Resten aus grünem Fliesenbruch gefliest. Eine ca. 5cm hohe Kante trennt die Dusche ab. In der Küche befinden sich ein Herd, die Gasflasche sowie ein kleiner hellblaue Küchenschrank, dessen Türen sich nicht mehr schließen lassen, sowie ein grauer Plastikhocker.
Rechts neben dem Eingang geht es durch eine Türöffnung ohne Tür ins Schlafzimmer, das ca. 2,50 x 2,50m misst. Das Bett nimmt 90% der Fläche ein. Eine dünne Schaumstoffmatratze, besser die Reste einer solchen, bedeckt das Bett. Ein kleiner Schrank und der obligatorische Fernseher, der nicht funktioniert, ergänzen das „Mobiliar“. Die beiden Fenster in Küche und Schlafraum sind mit Pappe oder Tüchern verschlossen. An den 4 Ecken der Decke hängen große Spinnweben. Die Wände sind grob verputz und waren einmal cremefarben gestrichen. Die Decke ist unverputzt und lässt bei Regen Wasser durch.
Es herrscht ein muffiger Geruch, da es in den letzten Wochen viel geregnet hat, und weil auch wenig Licht in das Haus fällt.
Es wird allmählich dunkel und die Lichter der Favela werden sichtbar. Stimmen, Hundegebell und Musik dringen von überall her. Zwischendurch hört man Babygeschrei und einen lautstarken Streit zwei Häuser weiter. Es ist sehr laut. Selbst der Lärm der ca. 500m gegenüber an einem Hang geklebten Häuser dringt bis hierher. Da es Samstag ist, gibt es natürlich irgendwo “Party“. Diesmal vom Hügel gegenüber. Die Lautsprecher sind so laut ausgesteuert, dass bei Spitzenlautstärken nur ein Kreischen zu hören ist. Die Party wird bis morgens um7 Uhr gehen. Strom und Wasser werden zum Grossteil illegal angezapft und somit umsonst genutzt. Katzenstrom/-wasser wird es genannt.
Ich lege mich auf das Bett und gewöhne mich nur schwer an den modrigen Geruch des Bettes. Es ist hart und ich spüre jede Latte des Lattenrostes durch die Matratze. Ein dünnes Tuch wärmt nur unzureichend, da lediglich ca. 16 Grad herrschen. Die beiden Kinder schlafen sonst am Rande des Bettes zur Wand hin zwischen großen und kleinen Stofftieren. Mir dient ein solches als Kopfkissen. Meine Füße ragen über das Fußende hinaus, da das Bett nur 1,80m misst.
Trotz fortschreitender Nacht nimmt der Lärm nicht ab. Ständig herrscht Hundegebell, vom tiefen Bass eines größeren Hundes bis zum Sopran eines Pinschers. Wenn nicht links ein Kind schreit, dann hört man eins von ein paar Häusern tiefer. Von der untenliegenden Strasse hört man jedes Auto oder Motorrad vorbeifahren. Das ständige Hundegebell lässt mich nicht einschlafen, zumal ich keine Schlafposition finde, die nicht schmerzt. Trotz Kleidung und Tuch friere ich. Um Mitternacht stehe ich auf und lese meinen Krimi zuende. Immer noch herrscht der gleiche Lärm wie um 18:00 Uhr. Ich lege mich nach einer Stunde wieder hin und versuche einzuschlafen, was mir nicht gelingt. Mir tut alles weh. Nach einer weiteren Stunde stehe ich erneut auf, um eine zu rauchen. Ich schaue durch ein größeres Loch im Küchenfenster auf die Favela herab. Hier tobt um 3 Uhr nachts immer noch das Leben. Inzwischen meldet sich der erste Hahn zu Wort, das kurz darauf von einem anderen erwidert wird. Der Streit der Nachbarn vor ein paar Stunden ist ausgestanden und man hat sich versöhnt, was nicht unüberhörbar ist So gibt es drei, vier weitere Stimmen im nächtlichen Gesang der Favela.
Ich denke an den Baum, der 2 Meter hinter dem Haus halb entwurzelt, um Platz für das Haus zu geben, aufragt. Bei einem heftigen Wind vom Hügel her, droht er umzukippen und auf die beiden darunter liegende Häuser zu stürzen. Die Bewohner darunter haben Angst davor. Aber es findet sich keiner, der den Baum fällt. Gefahr droht auch von einem längeren starken Regen, der den Lehm, auf dem die Häuser stehen, aufweicht und die Häuser abrutschen lassen kann. Wenn solch ein Hang in Bewegung gerät, stürzen einige Häuser den Hang von ca. 60m Höhe hinab. In anderen Favelas war dies schon geschehen und mit einigen Toten, vornehmlich Kindern, verbunden.
Das Leben in einer Favela am Hang, wie die meisten in Rio, ist ständig bedroht, sei es von der Natur oder von Banditen. Ständig sterben Kinder in Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Banditen oder bei Bandenkriegen, durch Querschläger oder verirrte Kugeln. Nicht selten hört man Schusswechsel nah oder von fern. Die Polizei nimmt wenig Rücksicht auf Unbeteiligte, ebenso wenig wie die Banditen. Kinder sterben durch verirrte Kugel. Man muss ständig auf der Hut sein, d.h. alle seine Sinne schärfen, sehen, was neben, hinter und vor einem passiert. Eine Person die längere Zeit hinter einem geht, beunruhigt und man lässt ihn entweder vorbeigehen oder geht schneller. Nach ca. 4 Wochen Aufenthalt in Rio sind mir Augen nach hinten gewachsen.

2 Comments:

Blogger Änni said...

hey grischtini,

da warst du aber heute schon früh fleißig :)

das ist ein sehr bewegender erfahrungsbericht....
ich finde es toll, dass du ihn veröffentlichen durftest.

ich hoffe das dir schon augen, die hinter dich blicken können gewachsen sind...pass auf dich auf!

ich denke sehr viel an dich und das was du im moment erlebst....
fühl dich geküsst und gedrückt!

9:24 PM  
Anonymous Anonym said...

da fehlen mir die worte...so eine erfahrung kann ich mir hier gar nicht wirklich vorstellen.
schön, dass michael uns daran teilnehmen läßt!!
ich drücke dich!!!
knutscha,
lena

1:32 PM  

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